Man sollte doch zumindest annehmen, dass am 22.12. so langsam diese Weihnachtsstimmung aufkommt oder? Dieses Gefühl von Ruhe und von Heimeligkeit. Und zwar unabhängig davon, welcher Religion man angehört. Schließlich können Kerzen, Kekse, Punsch, Misteln und der Geruch von Tannengrün doch gar nichts anderes als Gemütlichkeit in der dunklen Jahreszeit ausstrahlen. Die Tage werden nicht hell, die Abende sind lang, doch Tee und Schokolade auf der Couch bieten die besten Voraussetzungen, um im wahrsten Sinne des Wortes zur Besinnung zu kommen und besinnlich zu werden.
Nun Meine Weihnachtsstimmung sah bis einschließlich gestern eher ungefähr so aus: Theoretisch vorhanden. Tatsächlich eher kahl bemüht, statt wahrlich besinnlich in Vorfreude.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht und Sie dieses Jahr erlebt haben, aber wenn ich zurückblicke, dann ist dieses Jahr nur so davon gerast. Und hat mich zu Weilen in seinen Wirbeln mitgerissen. Freunde von mir berichten das Gleiche. Werden wir alle einfach immer älter? Nimmt darum das Empfinden, die Zeit würde immer schneller vergehen, zu? Oder liegt es an unserer digitalen Gesellschaft, in der der ewig währende Strom aus Neuigkeiten und Schrecklichkeiten unaufhörlich dahinwälzt, in der es immer blinkt und pingt? Nicht nur befeuert von den letzten Tweets des zunehmend verwirrten MAGA-Mannes und Meldungen zu dem scheinbar zunehmend irren Weltgeschehen, sondern natürlich von den eigenen Status-Updates zum letzten Craft-Beer-Tasting, der Bestzeit beim Triathlon, dem neu gewonnenen Kunden und den selbst gebackenen Keksen.* Höher, schneller, weiter. Kaufen Sie kein Weed man, kaufen Sie Jamaica!
Wird in dem Sog nicht nur alles schneller, sondern auch drängender, drückender? Digitalisierung kostet 1.200 Mitarbeiter bei der Allianz den Job. Siemens streicht 7.000 Arbeitsplätze. Rekord-Eisschmelze an den Polkappen. USA treten aus aus Klimaabkommen aus. Flüchtlinge kosten Deutschland 22 Milliarden Euro pro Jahr. Terror in Deutschland. Die AfD zieht in den Bundestag.
Nein. Nein. Nein. Im Gegenteil. Die Welt ist sicherer geworden. Sagt Brigadegeneral Peter Braunstein, Kommandeur des Zentrums für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr. Dies entspricht auch dem Bild des Historikers Ian Morris, der in Krieg: Wozu er gut ist** erläutert, wie grausame Konflikte die Welt im Laufe der Zeit sicherer gemacht haben. Der Evolutionspsychologe Steven Pinkert kommt mit Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit aus anderer wissenschaftlicher Sicht zum gleichen Ergebnis.** Wer seinen Glauben an die Schlechtigkeit nicht durch historische-psychologische Abhandlungen verlieren möchte, dem sei das Buch von Guide Mingels Früher war alles schlechter: Warum es uns trotz Kriegen, Krankheiten und Katastrophen immer besser geht.** ans Herz gelegt. Thematisch sortiert wird anhand von Fakten kurz und knapp erläutert, etwa warum die Sache mit der globalen Ungleichheit besser, Tote aufgrund von Schulhofprügeleien viel seltener geworden sind und weiße Weihnachten auch nicht so viel seltener sind, als der einzelne annimmt.
Vor dem HIntergrund muss ich wohl konstatieren, dass sich die Welt schnell dreht und die Digitalisierung es womöglich noch schneller aussehen lässt, aber dass das persönliche Empfinden von mir und meinen Freunden wohl einfach maßgeblich auf das Alter zurückführen ist. Und wenn das wiederum bedeutet, dass meine Freunde und ich in relativer Sicherheit einfach immer älter werden, dann sind das doch außerordentlich gute Nachrichten zum Jahresende.
An dieser Stelle könnte der Artikel zu Weihnachten mit einem versöhnlichen Ende schließen. Aber über diese guten Nachrichten ist nicht zu vergessen, dass, auch wenn es der Welt insgesamt besser geht, es doch vielen Menschen immer noch nicht gut geht. Das gilt – leider – selbst für eine reiche Stadt wie Hamburg. Auch hier gibt es Kinder, die keine warme Jacke im Winter von Ihren Eltern erhalten, die morgens kein Frühstück bekommen und nichts zum Essen, was sie mit in die Schule nehmen können. Ebenso wenig, wie sie gefragt werden „Brauchst Du etwas? Geht es Dir gut?“. Für diese Kinder setzt sich in Hamburg seit Jahren die Stiftung Mittagskinder ein. Sie erhalten Hilfe bei den Hausaufgaben, warme Mahlzeiten und Frühstück für den nächsten Tag – und viel wichtiger: ein kleines Stück zu Hause. Viele Freiwillige und Spender tragen dieses Projekt, das Kindern ermöglicht, den – vielleicht – vorgezeichneten Weg zu verlassen. Wer den Blog und meine Weihnachtsgeschichten schon länger verfolgt, der weiß, dass ich über die Mittagskinder und vor allem die privat initiierte Facebook-Gruppe “Geschenkpate Hamburg” jedes Jahr schreibe. Die Gruppe rund um den Gründer Tim Jägeler organisiert für die Kinder der Mittagskinder jedes Jahr eine Weihnachtsfeier und eben Geschenke. Die Wünsche der Kinder sind regelmäßig äußerst bescheiden. Eine Federtasche. Ein paar neue, warme Schuhe. Eine Trainingsjacke. Und die Freude ist jedes Mal so unendlich groß. (Wer, mehr zu den Mittagskindern wissen möchte, bitte hier entlang).
Doch was sagte ich eingangs? Die Zeit in diesem Jahr, einschließlich der Weihnachtszeit, raste hinfort. Neben dem Alter und etwaigen digital-kommunikativen Verstärkungseffekten gab es da noch einen handfesten Grund: Die Arbeit. Die viele Arbeit. Und so sah ich die Geschenkelisten für die Mittagskinder rumgehen. Fest entschlossen, mir ein Geschenk für ein Mittagskind auszusuchen, zu besorgen und zu verpacken. Bis ich voll innerem Vorwurf, mir keine Zeit dafür genommen zu haben, realisierte: Wir schreiben den 20. Dezember! Die Pakete müssen heute abgegeben werden! Himmel. Nein! Das ist nicht mehr machbar! Doch welch Glück: Ich sah, dass inzwischen alle Kinder einen Geschenkpaten hatten und alle Kinder würden ein Weihnachtsgeschenk entgegennehmen können. Das ist noch mal gut ausgegangen. Und da ich möchte, dass es bei möglichst vielen Mittagskindern, das ganze Jahr über so gut als möglich ausgeht, habe ich mich nun entschlossen, mit der Kanzlei dem Freundeskreis der Mittagskinder beizutreten und die Mittagskinder einfach regelmäßig zu unterstützen. (Das können Sie auch tun!).
Und ach, ja, sollten Sie sich wundern, warum Sie weder Weihnachtskarten noch ein kleines Präsent von uns als Kanzlei zu Weihnachten erhalten haben. Den Grund habe ich Ihnen eben quasi genannt. Auch dieses Jahr müssen meine Mandanten, Geschäftspartner und Freunde auf Weihnachtskarten und kleine Präsente verzichten. Denn wie ich die letzten Jahre schon schrieb, ist es einerseits unbestreitbar nett ein Kärtchen in Händen zu halten, das Gefühl zu bekommen, es habe jemand an einen gedacht und sich eben darüber zu freuen. (Hiermit auch an dieser Stelle wieder so gleich ein ganz herzliches Dankeschön an all diejenigen, die mich bislang mit Weihnachtspost bedacht haben!) Aber abgesehen davon, dass von so manchem, der die Karten vielleicht gleich stapelweise zum Unterzeichnen hingelegt bekommt, auch nicht unbedingt “Hurra!”-Schreie zu vernehmen sind und die Karten – so ist es nun einmal – früher oder später den Weg ins Altpapier und die präsentierten Kulis den Weg in die dunkle Schublade finden, verhält es sich andererseits so, dass man meines Erachtens auf die kleine Freude gut verzichten kann, wenn die Zeit, die Mühe und der monetäre Aufwand auch an andere Stelle wandern kann. An eine Stelle, wo es wirklich und an sich nicht nur zur Weihnachtszeit notwendig ist, an diese anderen zu denken.
Gestern habe ich dann das letzte große Projekt für dieses Jahr abgeschlossen. Nun warten nur noch ein paar E-Mails und ein Gastartikel auf mich,was ich heute Nachmittag bei einer Tasse Tee gemütlich abarbeiten werden. Gestern haben die Kinder den Weihnachtsbaum geschmückt. Heute haben die Ferien begonnen. Und so langsam tönt es fröhliche Weihnachten auch hier.
Ich hoffe, Sie finden auch in den Geist der Weihnacht, in die „Zeit der frohen Herzen, wo man einander gern hat und es auch dem anderen sagt“.
In diesem Sinne,
frohe Weihnachten.
*Sooo einfach! Man braucht nur Mehl, Zucker und getrocknete Einhorntränen.
** Ja, ich habe hier Amazon verlinkt. Aber wie wäre es, wenn Sie die Bücher beim Buchhändler ihres Vertrauens um die Ecke kaufen? Der kann Ihnen sicher gleich noch die eine oder andere sinnvolle Empfehlung mit dazu geben.