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„Keine kostenpflichtige Abmahnung ohne vorherigen Kontakt!“ – von gefährlichen Formulierungen in AGB und Disclaimern

Immer wieder stolpere ich während meiner Arbeit über Formulierungen in Verträgen, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Disclaimern auf Webseiten, die mir die Haare zu Berge stehen lassen. Es sind Formulierungen bei denen ich eigentlich immer denke, dass sie doch schon lange ausgestorben sein müssten und dann leben sie doch immer recht munter in den verschiedensten Ecken weiter. Nun habe ich beschlossen, jedes Mal, wenn mir ein besonders „schönes“ Exemplar unter die Hände kommt, ein paar Zeilen dazu zu schreiben. Auf dass diese kleine neue Serie dazu beiträgt, dass der eine oder andere Fehler an diesen Stellen vermieden wird.

Und so eben las ich so eben sinngemäß die folgende Blüte vermeintlicher Haftungsreduzierung:

Keine Abmahnung ohne vorherigen Kontakt!

Sollten Inhalte oder die Gestaltung dieser Portalseiten die Rechte Dritter (insbesondere das Urheberrecht, Markenrecht, Persönlichkeitsrecht sowie das Wettbewerbsrecht) verletzen, so verlangen wir eine angemessene, ausreichend erläuternde und schnelle Nachricht ohne Kostennote.

Wir garantieren, dass wir umgehend auf Sie reagieren werden, die beanstandeten Passagen entfernen oder abändern werden, ohne dass  die Einschaltung eines Rechtsbeistandes erforderlich ist.

Die Einschaltung eines Anwaltes mitsamt kostenpflichtiger Abmahnung würde nicht dem  wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Dienstenanbieters entsprechen und wäre damit wegen der Verfolgung sachfremder Ziele als beherrschendes Motiv der Verfahrenseinleitung, insbesondere einer Kostenerzielungsabsicht als eigentliche Triebfeder sowie wegen eines Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht rechtswidrig.

Das klingt ja toll. Einfach auf die Homepage einen Hinweis oder in die AGB  eine Klausel setzen, wonach man  nicht mehr kostenpflichtig abgemahnt werden darf; nach dem eine kostenpflichtige Abmahnung gar rechtswidrig sei. Toll. Also kann Ihnen keiner einfach mehr wegen einer Urheberrechtsverletzung oder weil irgendjemand einen Dritten mittels der Kommentarfunktion übelst beschimpft hat, eine Abmahnung durch einen Anwalt nebst entsprechender Kostennote schicken! Heureka! – Wenn Sie das jetzt denken oder bis jetzt gedacht, dann sollten sie von diesem Gedanken ganz schnell wieder Abstand bzw. die Formulierungen von Ihrer Website bzw. aus den AGB nehmen. Denn derartige Klauseln sind nicht nur unwirksam, sie bieten ihrerseits auch noch das Potential zur Abmahnung.

Wieso ist denn eine derartige Klausel unwirksam?

Nun, das Gesetz sieht die Abmahnung als das Mittel zur außergerichtlichen Streitbeilegung vor. So heißt es in § 12 Abs. 1 UWG

Die zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten sollen den Schuldner vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen. Soweit die Abmahnung berechtigt ist, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden.

Und in § 97a Abs. 1 bzw. 3 UhrG heißt es ebenso

Der Verletzte soll den Verletzer vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen.

[…]

Soweit die Abmahnung berechtigt ist und Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 4 entspricht, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden. […]

Diese gesetzlichen Formulierungen könnte man ganz frei etwa wie folgt übersetzen:

Lieber Rechteinhaber, wenn Du in Deinen Rechten verletzt bist, dann lauf bitte nicht gleich zu Gericht und beschäftige die Richter dort. Kläre Deine Angelegenheit bitte außergerichtlich. Natürlich bist Du schon in Deinen Rechten verletzt, dein geistiges Eigentum wurde bereits widerrechtlich gebraucht oder Dein Wettbewerber hat sich bereits eine Verletzung des fairen Wettbewerbs zu schulden kommen lassen. Aufgrund dessen darfst Du Dir auch gleich einen Anwalt nehmen, Deine Rechte zusammen mit diesem durchsetzen und natürlich die Kosten für den Anwalt erstattet verlangen.

Tja. Was nämlich gerne vergessen wird: Es hat schon eine Rechtsverletzung stattgefunden. Rechte sind verletzt. Warum sollte also der Rechtsverletzte verpflichtet werden können, auf die Geltendmachung seiner ihm gesetzlich zustehenden Rechte zu verzichten? Und warum sollte nun auch noch der Rechtsverletzer einseitig mittels „Disclaimer“ erklären können, dass der Rechtsverletzte hier bitte schön auf seine Rechte verzichtet?

Dazu sollte man wohl auch wissen, dass es zur Erfüllung eines Unterlassungsanspruches nicht genügt, die Rechtsverletzung zu beseitigen. Der Rechtsverletzer hat darüber hinaus eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, mit der er sich verpflichtet, eine derartige Rechtsverletzung unter Versprechung einer Vertragsstrafe – sollte er die Rechtsverletzung noch einmal begehen, muss er diese zahlen – künftig zu unterlassen. Nur wenn eine solche strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben wird, ist der Unterlassungsanspruch nach ständiger Rechtsprechung erfüllt.

Darüber hinaus ist auch zu bedenken, dass z.B. jemand, dessen Urheberrechte verletzt sind, mit der Abmahnung nicht nur den Unterlassungsanspruch und die Erstattung der Rechtsverfolgungskosten (die Kosten des eigenen Anwalts), sondern auch direkt einen Schadensersatz geltend machen kann (vgl. §§ 97, 97a Abs. 2 UrhG).

Wie aber sollte ein durchschnittlicher Rechtsverletzter seine Rechte auf Unterlassung sowie ggf. Schadensersatz gegenüber dem Rechtsverletzer durchsetzen, wenn dieser schon per se durch derartige Formulierungen zum Ausdruck bringt, dass der Diensteanbieter für eine Rechtsverletzung nicht im gesetzlichen Umfang einstehen will?

Insoweit sind solche Klauseln bzw. Disclaimer schon aufgrund § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB schlicht unwirksam. Demnach sind nämlich solche Klauseln grundsätzlich unwirksam, die mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren sind. Das ist hier nach den vorstehenden Ausführungen der Fall. Darüber hinaus gälte die Klausel wohl auch als überraschend im Sinne von § 305 c BGB, da mit einer derartigen Beschneidung von gesetzlichen Rechten nicht zu rechnen sein muss. (Ja, ja, liebe mitlesenden Juristen, es ist komplizierter, wenn sich die Klauseln an Unternehmer richten, aber das Fass mache ich hier a) jetzt nicht auf und b) dürfte wohl Einigkeit darüber bestehen, dass auch einem Unternehmer durch eine derartige Klausel nicht das Recht zur Abmahnung streitig gemacht werden kann.)

Derartige Klauseln fordern ihrerseits Abmahnungen heraus

Für den Verwender derartiger Klauseln ist aber noch viel unangenehmer, dass eine solche Klausel nicht nur unwirksam ist, sondern selbst wettbewerbswidrig sein kann.

Die vorliegende – oben vorgestellte – ist es ganz sicher. Denn schließlich wird hier insbesondere mit dem dritten Absatz suggeriert, dass die Einschaltung eines Anwalts und die Überstellung einer Abmahnung per se rechtswidrig sei und dem Rechtsverletzten wegen der Geltendmachung seiner Ansprüche auch noch Ungemach drohen würde. In Folge dessen könnte aufgrund dieser Klauseln ein unbedarfter rechtsverletzter Dritter von der Geltendmachung seiner ihm zustehenden Ansprüche absehen. Das wiederum gilt aber in der Gesamtbetrachtung als unlauter im Sinne des UWG.

(Ja, Abmahnungen können rechtsmissbräuchlich sein. Sie sind es in der Regel aber nicht. Hier wird entgegen suggeriert, dass eine Abmahnung ohne vorherige Kontaktierung in jedem Fall rechtsmissbräuchlich sei. Das ist jedoch gerade nicht der Fall.)

Das Hanseatische OLG zu wettbewerbswidrigen Disclaimern

Über einen ähnlichen Fall hatte das Hanseatische OLG (Az. 5 W 118/12) zu entscheiden. Ein Online-Händler hatte unter „rechtliche Hinweise“ in seinem Allgemeinen Geschäftsbedingungen den folgenden Hinweis:

„Die Inhalte der Webseite werden mit größter Sorgfalt erstellt. Dennoch kann keine Garantie für Aktualität und Vollständigkeit übernommen werden.”

Tja. Das HansOLG sagte in seinem Beschluss dazu: „Nach all dem dürfte diese Klausel geeignet sein kann, den Verbraucher von der Geltendmachung berechtigter Gewährleistungs- und Rückabwicklungsansprüche abzuhalten“ Es erkannte die Klausel als wettbewerbswidrig nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG iVm Regelungen des BGB. Bumms. Aua. Jedenfalls für den Verwender dieser Klausel. Denn anstelle sich vor rechtlichem Ungemach geschützt zu haben, durfte der Verwender für Verfahrens- und Gerichtskosten bis in die zweite Instanz blechen. Heureka!

Bezogen auf den hier vorgestellten Fall, könnte man es auch so formulieren: Versuche nicht den Vertragspartnern und/oder Webseitenbesuchern zu suggerieren, ihnen würden klare gesetzlich vorgesehene Ansprüche nicht zustehen, bzw. sie könnten diese nicht durchsetzen, denn das kann arg nach hinten losgehen.

Fazit

Ja, in Deutschland herrscht Vertragsfreiheit. Aber deswegen kann man geltendes Recht nicht einfach abbedingen und schon gar nicht durch einseitige Erklärung in Form von „Disclaimern“. Wie sage ich es immer, wenn ich unter anderem zu diesem Thema referiere:

Im besten Falle sind derartige Formulierungen nutzlos, im schlechtesten Fall kosten sie eine Menge Ärger und Geld. Lassen Sie sie weg!

Natürlich möchte man die eigene Haftung so weit als gehend reduzieren. Aber so geht es eben nicht. Ich bin gespannt, welche Stilblüte mir als nächstes über den Weg läuft und zur Inspiration für den nächsten Blogartikel dienen mag.

In diesem Sinne,

kein Übereifer bei der Haftungsreduktion!

PS: #Disclaimer ;-] Die obigen Klauseln sind wirklich nur sinngemäß wiedergeben und neu durch mich formuliert worden. Insoweit habe ich auf Quellenangaben verzichtet (sicher im Sinne des Verwenders…). Sie finden sich so ähnlich aber immer noch auf vielen, vielen Seiten.

PPS: Ein paar Zeilen schrieb ich eingangs. Mhm. Irgendwie klappt das mit den „kurzen“ Blogartikeln nicht so recht. Ich übe noch. Irgendwann wird das was. Bestimmt.

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Diercks Digital Recht

 

Nina Diercks (M.Litt, University of Aberdeen) arbeitet seit 2010 als Rechtsanwältin. Sie führt die Anwaltskanzlei Diercks in Hamburg. Die Anwältin berät und vertritt Unternehmen bundesweit, ist jedoch ausschließlich im IT-| Medien-| Datenschutz und Arbeitsrecht tätig. Daneben steht die Nina Diercks gern und oft als Referentin auf der Bühne sowie als Interviewpartnerin und Gastautorin zur Verfügung. Dazu hat sie im Jahr 2010 diesen Blog (früher: Social Media Recht Blog) ins Leben gerufen. Mehr

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