Blog für IT- | Medien- | Datenschutz- und Arbeitsrecht
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… so lautet der Titel des von mir verfassten und nun in der Fachzeitschrift Kommunikation und Recht (K&R, 2014, 1) frisch erschienen Artikels.

In der eingehenden Beschreibung heißt es dort:

„Der Beitrag greift lösungsorientiert die Diskussion um Verbote der (privaten) Internet-, E-Mail und Social Media Nutzung am Arbeitsplatz vor dem Hintergrund des heute in Unternehmen geforderten Informations- und Kommunikationsverhaltens der Mitarbeiter unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung zu § 88 TKG auf.“

Anders ausgedrückt beschäftige ich mit mit dem Artikel „Social Media im Unternehmen (Kommunikation & Recht, 2014, 1) mit dem Folgenden:

Viele Juristen postulieren immer noch ein Verbot der (privaten) Nutzung digitaler Kommunikation am Arbeitsplatz als die beste und sicherste Lösung für Unternehmen. Social Media Manager schütteln ob solch eines konsequenten Verbots den Kopf. Und halten jegliche Regulierung für unnötig, bzw. schlicht überflüssig. Die Chefetage ist ohnehin hochgradig verunsichert. Sie hört den Rat der Juristen und weiß zugleich um die Notwendigkeit von Social Media und der Unsinnigkeit, bzw. kaum möglichen Durchsetzbarkeit eines Verbotes der (privaten) Nutzung digitaler Kommunikationsmittel – auch wenn es sich bei der den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten IT-Infrastruktur, Internet und E-Mail noch so sehr um Betriebsmittel handeln.  Aus dieser Melange entsteht der deutsche Regelfall der (privaten) Nutzung digitaler Kommunikationsmittel: Die Duldung.

Der Artikel zeigt im Wesentlichen drei Dinge auf. Zum einen dass ein Verbot nicht sinnvoll – wenn gleich auf den ersten Blick juristisch besehen viel einfacher – ist. Zum anderen, dass die vermeintlich ebenso einfache Duldung zahlreiche Folgeprobleme nach sich zieht, die sich wahlweise mit dem Modewort Compliance oder den guten, alten Legalitätspflichten umschreiben lassen sowie dass bunte Social Media Leitfäden zwar gut für die Mitarbeiter, aber dennoch nicht ausreichend im Sinne von Social Media Richtlinien sind. Und schließlich, dass die Argumentation der Juristen, welche stets § 88 Telekommunikationsgesetz zur Begründung des absoluten Verbots privater Nutzung heranziehen und der Geschäftsführung Szenarien von strafrechtlicher Verfolgung bei Verstößen gegen eben diesen vor Augen führen, vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung (LAG Niedersachsen, 31. 5. 2010 – 12 Sa 875/09; LAG Berlin-Brandenburg, 16. 2. 2011 – 4 Sa 2132/10; LAG Hamm, 10. 7. 2012 – 14 Sa 1711/10) und neuerer Literatur nicht zu halten ist.

Oh. Und natürlich zeigt der Artikel noch einen vierten Bereich auf: Lösungen.

Wer nun mag, kann sich den Artikel „Social Media im Unternehmen“ (Kommunikation & Recht, 2014, 1) hier als pdf ansehen und zu Gemüte führen.

Wem der Artikel zuviel Fachchinesisch enthält (nun ja, es ist eben ein Fachartikel…), der muss sich noch ein wenig in Geduld üben. Aber in Kürze wird die Problematik hier im Blog noch einmal auf altbekannte Weise bearbeitet werden.

In diesem Sinne,

ein frohes neues Jahr und auf mehr Social Media in den Unternehmen!

PS: Liebe Blog-Abonnenten, entschuldigen Sie bitte, dass Sie den Artikel nun zweimal bekommen. Aber aus technischen Gründen war es leider notwendig, dass er noch einmal komplett neu eingestellt wird.

Das Oberlandesgericht Hamburg hat Ende Juni eine insbesondere für Agenturen und deren Auftraggeber zwingend zu berücksichtigende Entscheidung (Az. 3 U 26/12) getroffen. Und zwar zum einen hinsichtlich der Frage, ob die Informationspflicht bei Datenerhebungen nach dem Telemediengesetz eine sogenannte Marktverhaltensnorm ist, bei der ein Verstoß eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung auslösen kann. Und zum anderen hinsichtlich der Frage, ob neben der ausführenden Agentur auch das beauftragende Unternehmen im wettbewerbsrechtlichen Sinne in Anspruch genommen werden kann.

Doch worum geht es konkret und im Einzelnen?

I. Der Sachverhalt

Das Unternehmen U vertreibt Blutdruckmessgeräte. Der Hersteller H ebenfalls. Der Hersteller beauftragte den Dienstleister D mit der Schaltung von Werbung im Internet. D schaltete Werbung, mittels derer letztlich Diabetiker aufgefordert wurden, sich zu über das Internet zu registrieren, um so dann das Gerät es Herstellers H „unter Alltagsbedingungen zum Kennenlernen“  zu erhalten.  Die vom Dienstleister D betriebene Internetseite, auf der die Registrierung vorzunehmen war, enthielt weder ein Impressum noch Informationen zur Erhebung und Verwendung der für die Registrierung der angesprochenen Kunden erforderlichen personenbezogenen Daten.

U wandte sich nun jeweils mit einer Abmahnung gegen den Dienstleister, der diese Werbung schaltete sowie die Landing-Page betrieb und gegen den Hersteller der Blutdruckgeräte, der auch den Dienstleister beauftragt hatte. U machte mit der Abmahnung

  1. einen Verstoß gegen § 7 Abs. 1 HWG (Heilmittelwerbegesetz),
  2. einen Verstoß gegen die Impressumspflicht nach § 5 TMG (Telemediengesetz),
  3. einen Verstoß gegen Informationspflicht nach § 13 TMG,

jeweils in Verbindung mit §§ 3, 4 Nr. 11 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb), wonach der Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften eine unlautere und mithin verbotene geschäftliche Handlung darstellt, geltend.

Während der Dienstleister umgehend eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgab, verweigerte sich dem der Hersteller. Folglich machte das Unternehmen U weiter gerichtlich seine Forderung auf Unterlassung und Kostentragung gegen den Hersteller H geltend.

Der Hersteller H suchte sich mit den Argumenten zu verteidigen, die Abmahnung entbehre schon inhaltlich jeder Grundlage und zudem könne er selbst gar nicht angegriffen werden, da schließlich die Agentur alles (falsch) gemacht habe.

II. Die Entscheidung des OLG Hamburg

Das OLG Hamburg stellte unmissverständlich klar, dass der Hersteller vorliegend selbstverständlich für einen Verstoß seines Dienstleisters haftet. Dies ergibt sich auch wörtlich aus § 8 Abs. 2 UWG, in dem es heißt:

„Werden die Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von […] Beauftragten begangen, so sind der Unterlassungsanspruch und der Beseitigungsanspruch auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet“

Beauftragter im Sinne dieser Norm ist wiederum jeder, der, ohne Mitarbeiter zu sein, für das Unternehmen eines anderen auf Grund eines vertraglichen oder anderen Rechtsverhältnisses tätig ist und hierbei in die betriebliche Organisation dergestalt eingliedert ist, dass der Erfolg seiner Handlung zumindest auch dem Unternehmensinhaber zugute kommt und dem Unternehmensinhaber ein bestimmender und durchsetzbarer Einfluss jedenfalls auf die beanstandete Tätigkeit eingeräumt ist (Vgl.: Köhler/Bornkamm, § 8, Rn. 2.41). Tja, und da der Hersteller H den Dienstleister D nun einmal zum Zweck der Bewerbung der Produkte vertraglich eingeschaltet hat und zugleich in die Abwicklung der Werbeaktion eingebunden war (der Hersteller hat natürlich die Daten letztlich erhalten und die Blutdruckgeräte versendet), ist die Haftung des Herstellers neben der des Dienstleisters für die genannten Verstöße eindeutig.

1. Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz

Hierzu will ich mich an dieser Stelle gar nicht weiter auslassen, wen es interessiert, der mag das Urteil selbst, insbesondere die Randzeichen 33 bis 40 lesen. Das Gericht sah jedoch einen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz als gegeben an.

2. Verstoß gegen die Impressumspflicht

Uhaaaa. Die Geschichte hat sooooo’nen Bart und kostet das Gericht folglich auch nur müde sechs Zeilen (man möge die lapidare Ausdrucksweise verzeihen): Ein fehlendes Impressum des die Seite betreibenden Dienstleisters D ist natürlich ein Verstoß gegen die Impressumspflicht, welcher auch wettbewerbsrechtliche Relevanz hat. (Wer mehr wissen will, mag das Urteil des KG Berlin Az. 103 O 34/10 lesen, das sich ausdrücklich mit diesem Thema befasst.)

3. Verstoß gegen die Informationspflichten

Nun wird es aber hochgradig spannend. Nicht nur, weil der Datenschutz dank Edward Snowden sowieso gerade in aller Munde ist und ich mir vor zwei Tagen zum Recht der informationellen Selbstbestimmung in Zeiten von #prism und #tempora die Finger wund geschrieben habe, sondern aus dem folgenden Grund:

Bislang ist umstritten, ob datenschutzrechtliche Normen wettbewerbsrechtlich relevant sind und damit ob ein Verstoß gegen eine solche Norm von einem Mitbewerber mit einer wettbwerbsrechtlichen Abmahnung quittiert werden kann.

Einfallstor für den wettbewerbsrechtlichen Bezug und damit die Abmahnung ist der schon genannte § 4 Nr. 11 UWG, in dem es heißt

„Unlauter handelt insbesondere, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“

Die Frage ist also, ob die Vorschrift des § 13 Abs. 1 TMG, wonach Nutzer zu Beginn des Nutzungsvorgangs über Art, Umfang und Zwecke der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten sowie über die Verarbeitung seiner Daten […] n allgemein verständlicher Form zu unterrichten sind, eben eine solche „Marktverhaltensnorm“ im Sinne des UWG darstellt.

Das KG Berlin hat in seiner Entscheidung vom 29.04.2011 (Az. 5 W 88/11)  eine solche wettbewerbsbezogene Funktion des § 13 Abs. 1 TMG nicht erkannt. Die Norm solle nur gewährleisten, dass der Nutzer sich einen umfassenden Überblick über die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung seiner personenbezogenen Daten verschaffen kann. Und weiter: Für die Beurteilung, ob ein Verstoß im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG vorliegt, ist es unerheblich, ob sich ein Unternehmen durch die Missachtung einer derart auf den Datenschutz bezogenen Informationspflicht einen Vorsprung im Wettbewerb verschafft.

Verstanden habe ich diese Argumentation schon damals nicht und schrieb bereits im Oktober 2012 Zusammenhang mit einem Artikel von Dr. Thilo Weichert „Datenschutz als Geschäftsmodell – Der Fall Facebook“ das Folgende:

Die bestehende Auffassung von einigen Gerichten (KG Berlin, OLG München), dass Datenschutznormen keine Marktverhaltensregelungen im Sinne des UWG darstellen und der Verstoß dagegen deswegen von Mitbewerbern nicht angegriffen werden kann, mutet vor dem Hintergrund, dass eben heutzutage mit eben jenen (wie auch immer erlangten) Daten ein großes Geschäft gemacht wird (also derjenige, der den Datenschutz mit Füßen tritt im Zweifel einen Wettbewerbsvorteil erlangt), nahezu skurril an.“

Das OLG Hamburg sieht dies nun ebenso, denn es führt aus:

„Denn § 13 TMG soll ausweislich der genannten Erwägungsgründe der Datenschutzrichtlinie jedenfalls auch die wettbewerbliche Entfaltung des Mitbewerbers schützen, indem gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Die Vorschrift dient mithin auch dem Schutz der Interessen der Mitbewerber und ist damit eine Regelung i.S. des § 4 Nr. 11 UWG, die dazu bestimmt ist, das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer zu regeln“

Die Begründung des OLG Hamburg unter Randzeichen 58 zur Marktbezogenenheit der Datenschutznorm ist insgesamt sehr lesenswert.

III. Und nun? Was bedeutet das?

Nun stehen sich zwei oberlandesgerichtliche Rechtsprechungen konträr gegenüber. Die einen sagen hü, die anderen hott. Meines Erachtens handelt es sich bei der Entscheidung des KG Berlin allerdings um eine Fehlentscheidung, die vor dem Hintergrund der schon erwähnten heutigen wirtschaftlichen Bedeutung von Daten nicht aufrechterhalten werden kann.

Da meiner Meinung aber nicht wirklich eine irgendwie geartete Relevanz für die in anderen Fällen zu entscheidenden Richter innewohnt, ist das Folgende anzumerken:

Da zum einen die Linie der Rechtsprechung (noch) nicht klar ist, es zum anderen aber nun eine bejahende oberlandesgerichtliche Entscheidung zum Thema „Datenschutzregelungen als Marktverhaltensnormen“, ist in jedem Fall dazu zu raten, jeweils eine ordnungsgemäße Datenschutzerklärung vorzuhalten und den Datenschutz an dieser Stelle ernst zu nehmen. Das sollten Werbetreibende aus vertrauensbildenden Gründen und zur Vermeidung von genervten Kunden zwar ohnehin tun, aber vielen ist und war das dann doch relativ egal. Die Entscheidung des OLG Hamburg zeigt aber nun die dem Datenschutz innewohnende wettbewerbsrechtliche Relevanz auf und macht deutlich, dass wettbewerbsrechtliche Abmahnung in diesem Bereich zu Recht ergehen können. Folglich steigt das Risiko von Mitbewerbern und/oder den Mitbewerbern der beauftragenden Unternehmen abgemahnt zu werden.

IV. Last but not least: Zum Verhältnis zwischen Agentur und Auftraggeber

Darüber hinaus sollten sich Agenturen bewusst machen, dass zwar nach außen auch der Auftraggeber wettbewerbsrechtlich neben der Agentur in Anspruch genommen werden kann, aber der Auftraggeber aller Wahrscheinlichkeit nach und mit gutem Recht bei der Agentur aufgrund der Schlechtleistung Regress nehmen und sich die Kosten für den Rechtsstreit ersetzen lassen wird.

Schließlich ist die Agentur grundsätzlich für die für den Auftraggeber durchgeführte Kampagne verantwortlich. Die Agentur ist zunächst mal dafür verantwortlich, dass eine für den Kunden konzipierte und durchgeführte Kampagne frei von Mängeln ist. Ein Mangel kann auch eine rechtswidrige Werbemaßnahme sein (vgl. OLG Düsseldorf, Az.: 5 U 39/02), denn in dem Fall ist die Kampagne faktisch nicht erlaubt, damit nicht durchführbar und die Agentur hat Ihre (Dienst-)Leistung nicht ordnungsgemäß gegenüber dem Kunden, also dem Auftraggeber, erbracht. Nun ist es der Agentur zwar möglich, die Verantwortung für eine rechtliche Prüfung einer solchen Kampagne und damit die rechtliche Verantwortung qua vertraglicher Vereinbarung auf den Kunden/Auftraggeber abzuwälzen. Dies ist jedoch zum einen nicht ganz einfach. Zum anderen wird es dann schwierig, wenn die Agentur von vornherein weiß, dass die empfohlene Kampagne zu gerichtlich durchsetzbaren Ansprüchen gegenüber dem Kunden führen wird, bzw. führen kann. Dann kann sich die Agentur kaum damit exculpieren (juristisch für: herausreden), dass die rechtliche Prüfung der Angelegenheit Sache des Kunden/Auftraggebers gewesen wäre. Im Übrigen: In der harten Realität alles Fragen der jeweiligen Darlegungs- und Beweislast.

In diesem Sinne,

am besten einfach immer gleich vernünftig um den Datenschutz kümmern.

tl;dr: Datenschutz wird immer wichtiger, wer als Agentur und/oder Auftraggeber dem durch die Entscheidung des OLG Hamburg gestiegenen Abmahnrisiko entgegentreten möchte, sollte sich um vernünftige Datenschutzerklärungen mühen.

Autor: Nina Diercks

Ende April veröffentlichte ich hier Part I und Part II der kleinen Serie zum Active Sourcing & Talent Relationship Management (TRM). Während ich im ersten Teil erläuterte,

was eigentlich Active Sourcing & TRM ist,
warum sich ein Personaler auch noch um die rechtliche Seite den Kopf zerbrechen sollte
und warum der den Personalabteilungen bekannte § 32 BDSG hier eher weniger hilft,

setzte ich mich im zweiten Teil mit den rechtlichen Problemen der Kandidatenansprache

ausführlich auseinander. Nach einem Haufen Arbeit und einer zweiwöchigen, sehr schönen, Auszeit mit meiner Familie auf Menorca, kommen wir hier nun endlich zum dritten Teil, der sich mit der wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen befasst. Schließlich gibt es neben dem interessierten Unternehmen und dem potentiellen Kandidaten häufig noch ein dritte Partei: Den bisherigen Arbeitgeber. Und der ist im Zweifel nicht sonderlich amüsiert, wenn der schnellste Fisch in einen hübscheren Teich gelockt wird.

I. Der Wettbewerb und das Recht

Nach unserer Rechtsordnung (und Marktordnung) ist der Wettbewerb frei. Doch innerhalb dieses freien Wettbewerbs soll fair gespielt werden. Für das Fairplay im Markt sorgt in erster Linie das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, kurz UWG. Und nach eben diesem Gesetz sind unlautere geschäftliche Handlungen verboten, wenn sie die Interessen von Mitbewerbern spürbar beeinträchtigen. Doch was sind unlautere geschäftliche Handlungen und die Interessen von Mitbewerbern auf dem Spielfeld der Rekrutierung?

1. Abwerben – Eine unlautere geschäftliche Handlung?
Die Freiheit des Wettbewerbs erstreckt sich auch auf die Nachfrage nach Arbeitnehmern und somit haben Unternehmen keinen etwaigen „Bestandsschutz“ hinsichtlich ihrer Mitarbeiter (vgl. Köhler/Bornkamm, § 4, Rn. 10.103). Das Fischen in fremden Teichen, also das Abwerben von Mitarbeitern, ist damit grundsätzlich erlaubt. Jedoch: Fair muss es zugehen. Das Ziehen am Trikot ist weder beim Fußball, noch beim Rekrutieren erlaubt. In der Sprache des UWG heißt es dazu: Unlauter handelt insbesondere, wer die Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft (§ 4 Nr. 7 UWG), oder Mitbewerber gezielt behindert (§ 4 Nr. 10 UWG). a. Rekrutierung = Das Herabsetzen & Verunglimpfen von Mitbewerbern?!? Abwegig! Meint hier der ein oder andere womöglich. Doch weit gefehlt. Eine wettbewerbswidrige Herabsetzung eines Mitbewerbers ist nämlich dann zu bejahen, wenn die Handlung geeignet ist, die Wertschätzung des betroffenen Mitbewerbers in den Augen der angesprochenen Verkehrskreise zu verringern. Und nun stelle man sich vor, den Mitarbeiter MA der Agentur A erreicht eine elektronische Nachricht vom Familienunternehmen F mit folgendem Inhalt: „Sehr geehrter Herr MA, möchten Sie weiterhin Dinge hören wie ‚Um 18.00 Uhr schon Feierabend? Haben Sie denn einen halben Tag Urlaub eingereicht?!‘ oder ‚Kommen Sie, zur Hochzeit Ihrer Schwester können Sie doch immer noch, der Pitch ist jetzt echt wichtiger…!‘ oder ‚Bitte ändern Sie den Plot noch mal – ich muss in 30 Minuten beim Kunden präsentieren‘. Nein? Rufen Sie mich an! In unserem Familienunternehmen F wissen wir nämlich Ihr Marketing-Know-How und Sie als Person zu schätzen. Ihr Personaler des Unternehmens F.“

Was entnimmt der angesprochene Verkehrskreis (also der angesprochene Kandidat) diesen Sätzen in Bezug auf die Agentur A? Wohl kaum etwas anderes als dass es sich um einen „Saftladen“ handeln muss, dem die Befindlich- und Persönlichkeit der Mitarbeiter komplett egal ist, solange sie nur arbeiten und die Rendite am Ende des Tages stimmt. Es wird also ein abträgliches Werturteil hinsichtlich der Agentur gefällt. Und aufgrund dieses Gesamtkontextes und Eindrucks wäre es damit auch gleichgültig, ob derartige Sätze vielleicht tatsächlich mal in der Agentur gefallen sind. Ergo ist diese Nachricht dazu geeignet, die Wertschätzung des Mitarbeiters MA für seinen Arbeitgeber die Agentur A zu verringern. Und demnach liegt eine unlautere Handlung in Form der Herabsetzung des Mitbewerbers (des bisherigen Arbeitgebers) vor. b. Rekrutierung = Das gezielte Behindern von Mitbewerbern?!? Nach dem oben Gesagten, wonach das Abwerben von Mitarbeitern erlaubt ist, kann eine Rekrutierung wohl kaum eine unlautere Handlung im Sinne der Behinderung des Mitbewerbers sein? Doch es kann. In einem Fall wie dem hier konstruierten. Denn eine Abwerbung ist wettbewerbsrechtlich eben nicht nicht mehr zulässig, wenn unlautere Begleitumstände wie etwa die herabsetzende Äußerungen über den bisherigen Arbeitgeber  hinzukommen. Und das wiederum gilt dann als gezielte Behinderung des Mitbewerbers.

2. Mitbewerber – Wo ist denn das Wettbewerbsverhältnis?
Im Wettbewerbsrecht wird ein Wettbewerbsverhältnis benötigt, um als Unternehmen gegen den sich unlauter verhaltenen Mitbewerber vorgehen zu können. Das soll die Möglichkeit des „Behakens“ von Unternehmen untereinander begrenzen. Dabei ist klar, dass ein Wettbewerbsverhältnis zwischen zwei Shampoo-Produzenten besteht, die um die gleiche Käuferschaft und damit dem Absatz von Produkten buhlen. Doch besteht ein Wettbewerbsverhältnis zwischen einem Hersteller von Dosensuppen und einem Maschinenbauer für Tunnelbohrköpfe, die beide einen Marketing-Direktor suchen? Die schlichte Antwort lautet: Ja. Denn ein Wettbewerbsverhältnis besteht auch dann, wenn die beteiligten Unternehmen nicht im Absatz von Produkten, sondern in der Nachfrage nach Dienstleistungen, einschließlich derer von Arbeitskräften, konkurrieren (vgl. Köhler/Bornkamm § 4, Rn. 10.104). Und das heißt, es besteht quasi immer ein Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmen in Bezug auf die Abwerbesituation, gleich wie „weit weg“ sie hinsichtlich ihrer Produkte oder Dienstleistungen sein mögen.

3. Kandidatenansprache – Eine geschäftliche Handlung?
Last but not least bedarf es immer einer geschäftlichen Handlung, damit ein Unternehmen gegen den Mitbewerber wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend machen kann. Und ganz klar: Die Kandidatenansprache ist in der Regel als geschäftliche Handlung zu verstehen, schließlich handelt es sich hierbei um ein Verhalten zu Gunsten des eigenen (oder im Falle von Headhuntern eines fremden) Unternehmens, das mit der Förderung des Absatzes von Dienstleistungen oder dem Bezug von Dienstleistungen oder dem Abschluss von Verträgen über Dienstleistungen objektiv zusammenhängt (vgl. § 2 Nr. 1 UWG).

4. Unterlassung und Schadensersatz
All das zuvor Gesagte würde kaum jemandem irgendetwas nützen, wenn man nicht auf die Einhaltung der Fairplay-Regeln pochen könnte. In unserem fiktiven Fall könnte die Agentur A vom Familienunternehmen F Unterlassung nach § 8 UWG verlangen und ggf. Schadensersatz nach § 9 UWG geltend machen. Zunächst mittels einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung, dies fordert schließlich § 12 Abs. 1 UWG. Ob überhaupt und wenn ja in welcher Höhe hier neben dem Anspruch auf Erstattung der Rechtsverfolgungskosten nach § 12 Abs. 1 S. 2 UWG Schadensersatz geltend gemacht werden kann, steht allerdings in den Sternen. Um ehrlich zu sein, die Aussichten sind ziemlich trübe. Schließlich kann kaum bemessen werden, wie hoch in solch einem Fall der mögliche Schaden wäre. Das musste auch ein großer Baukonzern unter Schmerzen erfahren, dem um die 50 Mitarbeiter abgeworben wurden. Die Schadensersatzklage in Millionenhöhe wurde letztlich vom Bundesarbeitsgericht abgewiesen. In den Urteilsgründen hieß es zwar, dass die Abwerbung wohl unlauter von statten ging, der Vortrag der Klägerin jedoch keine ausreichende Grundlage für eine Schätzung des durch unlauteres geschäftliches Verhalten der Beklagten entstandenen Schadens biete. Wer mag, kann das Urteil des BAG mit dem Az. 10 AZR 370/10 gerne ganz nachlesen (FYI: das Ganze landete beim BAG, weil es ursprünglich um die mögliche Verletzung von Beraterpflichten bzw. von vertraglichen Treuepflichten ging).

II. So what?! – I don‘t care!

Nach den hier gemachten Ausführungen mag das der Leser denken. Sicher, von einem derartigen unlauteren Abwerbeversuch muss der Arbeitgeber des angesprochenen Kandidaten erst einmal erfahren. Dass das jedoch kein aus der Luft gegriffener Fall ist, zeigt das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 23. Mai 2013, Az. 1 S 58/11. Ebenso wie in dem oben angeführten fiktiven Fall, versuchte ein Mitarbeiter eines Personaldienstleistungsunternehmen Mitarbeiter der Konkurrenz abzuwerben und übersendete zu diesem Zweck eine XING-Nachricht, welche unter anderem folgende Formulierungen enthielt: „Sie wissen ja hoffentlich, was Sie sich da angetan haben? Und Sie wissen ja hoffentlich, in was für einem Unternehmen Sie gelandet sind?“

Das Gericht befand „Eine solche negative Darstellung des Unternehmens der Klägerin und ihrer Qualitäten als Arbeitgeber ohne jegliche sachliche Begründung greift unverhältnismäßig in die berechtigten Interessen der Klägerin auf angemessene Darstellung in der Öffentlichkeit ein.“ und damit, dass ein Verstoß gegen § 4 Nr. 7 UWG ebenso vorlag wie gegen § 4 Nr. 10 UWG. Das abwerbende Unternehmen wurde zur Erstattung der Abmahnkosten verurteilt. Das Unterlassungsbegehren war nicht (mehr) Gegenstand des Verfahrens, jedoch sah das LG Heidelberg den Unterlassungsanspruch ausweisliche der Urteilsbegründung ebenfalls als klar gegeben an. Die Frage, die sich damit stellt, ist, ob man sich als Unternehmen gegebenenfalls einem solchen Verfahren und dem damit verbundenen Ärger aussetzt oder vielleicht doch lieber einmal vorher prüft, welche Vorgehensweise dem Fairplay des UWG entspricht….

In diesem Sinne, auch beim Rekrutieren immer ans Fairplay denken! tl;dr: Active Sourcing und die Ansprache von Kandidaten in Arbeitsverhältnissen haben  auch immer eine wettbewerbsrechtliche Komponente – und über die sollte dann doch einmal kurz nachgedacht werden.

PS: Spannend ist an dem Urteil des LG Heidelberg auch, dass es als eine der ersten Entscheidungen in Deutschland mit der Frage der Einordung eines Social Media Profils, hier auf XING, befasst. Der abwerbende Unternehmen hatte nämlich behauptet, es habe sich um eine rein private Nachricht und nicht um eine geschäftliche Handlung gehandelt. Dem ist das Gericht – zu recht – nicht gefolgt. Ausführliche Erläuterungen zum Urteil des LG Heidelberg gibt es übrigens beim geschätzten Kollegen Carsten Ulbricht zu lesen. Und der ebenfalls geschätzte Kollege Thomas Schwenke hat auf t3n einen ebenfalls sehr lesenswerten Artikel zum Active Sourcing mit hübschen Beispielen veröffentlicht.

Im ersten Teil zu „Active Sourcing & Talent Relationship Management rechtlich betrachtet“ ging ich zunächst den folgenden Fragen nach:

  1. Was ist eigentlich Active Sourcing & TRM?
  2.  Warum sollte sich ein Personaler um die rechtliche Seite den Kopf zerbrechen?
  3.  Warum hilft der bei Personaler doch recht bekannte § 32 BDSG hier wenig weiter?

Letztlich lautet  das Ergebnis, dass jedenfalls das Identifizieren von Kandidaten und das Anlegen von Kandidatenpools im Unternehmen durchaus rechtskonform  möglich ist.

Ich erwähnte jedoch schon, dass die Kandidatenansprache und auch das anschließende Beziehungsmanagement nicht ganz unproblematisch sind. Um die Fragen der Kandidatenansprache soll es sich nun denn auch in diesem Teil maßgeblich drehen. Dazu für all diejenigen, die es sich einfach nicht vorstellen können, dass die Kandidatenansprache ein Problem darstellen kann, einfach mal folgender Tweet, der unmittelbar in Reaktion zu meinem Active Sourcing Beitrag von der „Zielgruppe“ kam:

„total nervig. regelmäßig e-mails von kanzleien oder post an den lehrstuhl. kommt beides in den papierkorb.“

Tja. Aus tatsächlicher Sicht würde ich sagen, dass die Kanzleien, die da „nerven“, sicher nicht die ersten sind, an die der derzeitige Doktorand später denken wird. Aus rechtlicher Sicht kommt uns das Nervige bei Nachrichten doch irgendwie bekannt vor. Nannte man es nicht SPAM? Und war SPAM nicht irgendwie…verboten?

I. Kandidatenansprache – rechtliche Wertung in Bezug auf den Kandidaten

Aber STOP. Fangen wir besser von vorne an. Ein potentieller Kandidat ist identifiziert. Die Jagd, äh also, der Rekrutierungsprozess kann beginnen. Es muss irgendwie Kontakt mit dem Kandidaten aufgenommen werden. Doch wie? In der Regel wird eine elektronische Kontaktadresse vorhanden sein. Vielleicht aber auch eine Telefonnummer. Oder aber eine Adresse. Zunächst kurz zu den Ausnahmen aus der Sicht der Personaler (Adresse und Telefon) und dann zum Regelfall (Email-Adresse oder sonstige elektronische Direct-Message):

1. Postalische Adresse

Wenn eine postalische Adresse vorliegt, ist die rechtliche Bewertung hinsichtlich der Kommunikation über diesen Weg sehr einfach: Einen Brief können Sie in der Regel schreiben (es sei denn ihre Firma ist vom Kandidaten schon auf eine Blacklist gesetzt worden ;=) ). Ob das tatsächlich so sinnvoll ist, lässt sich nicht nur ob des einen so eben zitierten Beispiels bezweifeln. Die Aufmerksamkeit der Kandidaten mit einem Schreiben derart zu erhaschen, dass das teure Stück nicht in der Ablage P landet, verlangt vermutlich Kreativität. Dies ist in Kampagnenform zumeist nicht ganz günstig, was wiederum… ach. Was zerbrech‘ ich mir den Kopf. Das ist ja nicht meine Aufgabe. ;=)

Also, einen Brief können Sie schreiben. Ob es zielführend ist. Nun ja. Das beurteilen Sie besser selbst.

2. Telefon – Cold Call.

Dunkel rauscht dem Personaler noch im Ohr, dass er potentielle Kandidaten doch anrufen darf?! Dem Grunde nach ist das auch richtig. Denn während sogenannte Cold Calls gegenüber Verbrauchern (Anrufe ohne Verbindung zum und vor allem ohne Einwilligung des Verbrauchers) zu Marketingzwecken nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG stets als unzumutbare Belästigung und damit als rechtswidrig gewertet werden, stellt sich die Situation bei potentiellen Kandidaten etwas dar. Denn der Anruf bei einem Kandidaten, gleich ob privat oder am Arbeitsplatz, zu Zwecken der Abwerbung stellt sich nach bisheriger herrschender Auffassung als Anruf gegenüber einem sonstigen Markteilnehmer im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG dar.

Warum? An sich ist ein Arbeitnehmer auch ein Verbraucher. Ein Verbraucher wird vor der kalten Telefonakquise vom Gesetz gut geschützt, da ein Telefonanruf einen beträchtlich Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen darstellt. Nach der herrschenden Auffassung seien aber die Interessen des Arbeitnehmers in Bezug auf sein Arbeitsverhältnis grundlegend anders zu bewerten als die eines Verbrauchers. Diese Interessen seien immer einer „beruflichen Tätigkeit“ zuzurechnen und damit sei der Verbraucher in diesem Verhältnis nur ein sogenannter Marktteilnehmer. Bei einem Marktteilnehmer wiederum muss nur eine mutmaßliche, aber keine vorherige ausdrückliche, Einwilligung vorliegen. Und das mutmaßliche Interesse sei grundsätzlich immer zu bejahen, wenn und soweit der Anruf der kurzen sachlichen Information dient, nicht aufdringlich oder sonst belästigend ist (vgl. BGH I ZR 221/01 – Direktansprache I; BGH I ZR 73/02 – Direktansprache II)

Es ist unschwer zu erkennen, dass dieser Argumentation ein bestimmtes Bild des Arbeitsmarktes zu Grunde liegt: Das Bild des Arbeitgebermarktes. Wie bereits in Part I erläutert verhält es sich jedoch heutzutage in etlichen Regionen und Branchen so, dass ein Bewerbermarkt existiert. Ebenso wie ein Verbraucher aus unzähligen Duschgel-Varianten oder Automobil-Modellen frei wählen kann, kann hier der Bewerber aus dem ihm vorliegenden Angeboten auswählen. Und ebenso wie ein Verbraucher sich grundsätzlich von dem Anruf eines Autohauses belästigt fühlt, ist auch der Ingenieur von dem er-weiß-selbst-nicht-wievielten-Anruf eines weiteren (Möchtegern-)Arbeitgebers nicht begeistert. Die Interessenslage des Arbeitnehmers ist also gerade nicht mehr zwingend von der des Verbrauchers zu unterscheiden. Und selbst wenn dem nicht gefolgt werden möchte, so kann jedenfalls aus den vorgenannten Gründen nicht mehr grundsätzlich von einer mutmaßliche Einwilligung des Marktteilnehmers aka Kandidat ausgegangen werden.

Anders ausgedrückt: Sie können einen identifizierten Kandidaten, sofern Sie dessen Telefonnummer haben, anrufen und ihm kurz Ihr Anliegen sachlich schildern. Nach der herrschenden Auffassung handeln Sie dann rechtskonform. Es würde mich aber nicht wundern, wenn sich aus den hier geschilderten Gründen die Auffassung insbesondere der Rechtsprechung wandelt. Darüber hinaus nützt Ihnen Ihre rechtskonforme Handlung natürlich herzlich wenig, wenn Sie damit dem Kandidaten auf den Keks gehen…. Und dass derartige Anrufe potentiellen Kandidaten auf eben diesen gehen, habe ich nun schon mehrfach persönlich von leidgeprüften Personalern geschildert bekommen.

3. Die elektronische Direct-Message

Bleibt die elektronische Direktnachricht, die, schon aus dem Grund, dass hier am ehesten Kontaktdaten vorliegen, das häufigste Mittel der Wahl ist. Dazu ergab auch eine nicht-repräsentative Umfrage bei einem Auszubildenden, einer Praktikantin (Studentin), zwei relativen Berufsanfängern, einer Berufserfahrenen (< 5 Jahre) und drei langjährig Berufserfahrenen (> 15 Jahre) ein passendes und konsistentes Bild: Alle bevorzugen eine erste Kontaktierung per elektronischer Nachricht. Der einzige Unterschied ergab sich daraus, dass die langjährig Berufserfahrenen Wert auf einen reinen Vorab-Kontakt legten, dann aber umgehend einen telefonischen oder persönlichen Termin erwarteten. Kurz: In diesem Zusammenhang wird eine elektronische Nachricht als weniger aggressiv und störend empfunden.

Vollkommen konträr zu dem sich abzeichnenden Bild steht jedoch die Rechtslage. Während – wie aufgezeigt – ein Telefonanruf bei einem potentiellen Kandidaten nicht zwingend eine unzumutbare Belästigung im Sinne des UWG darstellt, bedarf die Übersendung einer elektronischen Nachricht zu Zwecken der An-/Abwerbung in jedem Fall der ausdrücklichen Einwilligung des Adressaten. Denn § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG, der die Zusendung von Werbung per Fax, Email oder sonstiger elektronischer Direktnachrichten regelt, trifft keine Unterscheidung zwischen Verbraucher und Markteilnehmer und damit auch keine Unterscheidung hinsichtlich der Qualität der verlangten Einwilligung.

Dies führt zu dem absurd anmutenden Ergebnis, dass die Übersendung einer Nachricht via XING zu Zwecken der An- oder Abwerbung grundsätzlich rechtswidrig ist, es sei denn, es läge schon eine Einwilligung des Kandidaten vor (welche nicht vorliegen kann, da es sich ja um einen Erstkontakt handelt). Dass bei jemandem, der sich auf einem Business-Netzwerk wie XING anmeldet und gar noch angibt, er sei an Job-Chancen interessiert, von dem Vorliegen einer Einwilligung ausgegangen werden kann (eben von der mutmaßlichen Einwilligung) ist hier irrelevant, da das Gesetz eben die ausdrückliche Einwilligung verlangt.

Das UWG regelt zwar nur das Rechtsbeziehungen von juristischen und natürlichen Personen, die zueinander im Wettbewerb stehen, jedoch kann eine natürlich Person aus §§ 823, 1004 BGB iVm allgemeinen Persönlichkeitsrecht gegen SPAM vorgehen. Dabei finden die Wertungen des UWG, die hier ausgeführt wurden, natürlich Berücksichtigung.

Damit stehen Sie vor dem folgenden Dilemma: Ein Telefonanruf ist, von einer möglichen Änderungen der Rechtslage abgesehen, aus tatsächlichen Gründen heikel. Eine Directmessage per Email, XING, Facebook oder Twitter wird von potentiellen Kandidaten  als grundsätzlich weniger belästigend eingestuft, was natürlich das Risiko einer rechtlichen Auseinandersetzung senkt. Wenn jedoch ein Kandidat von der 103. DM bezüglich eines Jobwechsels genervt ist, steht ihm das Recht klar auf der Seite – eine solche DM ohne vorherige Einwilligung ist eine unzumutbare Belästigung.

Die eigentliche rechtliche Streitigkeit wird dabei die wenigsten Personaler schrecken. Ein paar Tausend Euro können schnell ins Budget für solche Fälle eingeplant werden. Aber wie immer gilt auch hier: Sie müssen sich damit auseinandersetzen (*nerv) und die Außenwirkung ist alles andere als schön (dass die Leute über so etwas aber auch immer reden müssen!).

4. Soweit so gut – Und weiter?

Keine Frage, bislang existiert vermutlich kein einziger Fall, in dem ein angesprochener Kandidat eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte geltend gemacht hat oder in einen Rant über nervige Arbeitgeberansprachen verfallen ist. Mir ist jedenfalls keiner bekannt. Aber hier gilt Ähnliches wie bei arbeitsgerichtlichen Verfahren in Bezug auf Äußerungen in sozialen Netzwerken. Vor einem Jahr gab es kein einziges und nun sind es eine gute handvoll. Die Anzahl an sehr gefragten und damit dann irgendwann auch sehr genervten Berufsgruppen und Personen nimmt zu. Und ich bin deswegen selbst gespannt, ob und wenn ja wann, diese hier ausgebreitete graue Theorie (Rechts-)Wirklichkeit wird. Das Risiko sollte aber bekannt sein.

Dass allerdings das Zusammenspiel von neuen Medien und Compliance keine graue Theorie ist, zeigte der Fall der letzten Woche, bei dem ein Twitter-Kanal des Nachrichtendienstes Associated Press gehackt und die Falschmeldung, es habe einen Anschlag auf das Weiße Haus gegeben, verbreitet wurde. Nur wenige Minuten war der Tweet online, die Meldung wurde von offiziellen Stellen schnell revidiert. Die Börse reagierte jedoch zwischenzeitlich äußerst sensibel und der Dow Jones stürzte kurzfristig ab.

Dennoch bin ich mir ziemlich sicher zu wissen, wie Ihre Risikoabwägung ausgehen wird. ;=)

II. Kandidatenansprache – Rechtliche Bewertung in Bezug auf die Wettbewerber

Puuh. Wieder ein ganzer Artikel voll. Und dennoch ist nur ein weiterer Punkt geklärt. Im nächsten Teil geht es dann um die Kandidatenansprache aus Sicht des im Wettbewerb stehenden Unternehmens bzw. des Unternehmens, bei dem der Kandidat abgeworben wurde. Und schließlich werden wir noch zum Talent Relationship Management kommen.

In diesem Sinne,

weiter viel Erfolg beim Rekrutieren & stay tuned.

tl;dr: Kandidatenansprache hat den Status „Es ist kompliziert“. Der Personaler sagt dazu vermutlich „Ist mir doch egal.“.

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Diercks Digital Recht

 

Nina Diercks (M.Litt, University of Aberdeen) arbeitet seit 2010 als Rechtsanwältin. Sie führt die Anwaltskanzlei Diercks in Hamburg. Die Anwältin berät und vertritt Unternehmen bundesweit, ist jedoch ausschließlich im IT-| Medien-| Datenschutz und Arbeitsrecht tätig. Daneben steht die Nina Diercks gern und oft als Referentin auf der Bühne sowie als Interviewpartnerin und Gastautorin zur Verfügung. Dazu hat sie im Jahr 2010 diesen Blog (früher: Social Media Recht Blog) ins Leben gerufen. Mehr

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